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Die Reform
des italienischen Zivilprozessrechts
I. Grundlegendes
Die Reform zum Zivilprozessrecht wurde am 26.05.2009 verabschiedet.
Durch die Reform soll die meist unangemessen lange Dauer von
Gerichtsverfahren in Italien beschleunigt werden.
Beabsichtigtes Ziel war die Beibehaltung der Gewährleistung
der Verfassungsmäßigen Garantien, aber mit weniger
Formalismus sowie eine Aufwertung des Grundsatzes des fairen
Verfahrens.
II. Änderungen und Ziele
1. Zunahme der Kompetenzen von Friedensrichtern (Artikel
7)
Mit der Reform wird die Zuständigkeit der Friedensrichter
ausgeweitet: - Bei Streitigkeiten in Bezug auf unbewegliche
Güter von bisher € 2.582,28 auf € 5.000 - Bei Schadensersatz-Streitigkeiten
aus Verkehrsunfällen von € 15.493,71 auf € 20.000 - Unabhängig
vom Streitwert bei Sozialfällen.
Ziel: Damit soll die Arbeitsbelastung der Landgerichte verringert
und die Rolle der bevölkerungsnah stehenden Friedensrichter
aufgewertet werden.
2. Vereinfachung des Systems bei Zuständigkeitsfragen (Gesetz
69/2009, Artikel 59)
Nunmehr müssen Zuständigkeitsfragen sofort von den Parteien
gerügt werden und sollen auch in vereinfachter Weise
entschieden werden.
Ziel: Es soll vermieden werden, dass Zuständigkeitsfragen
zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens wieder und wieder gestellt
werden dürfen; damit soll auch eine Entscheidung der Hauptsache
vereinfacht werden.
3. Vereinfachung bei Entscheidungen von Verfahren (Artikel
115)
Der Richter darf bei seiner eigenen Entscheidung auch Fakten
zugrundelegen, die nicht gesondert von der im Verfahren bestellten
Partei bestritten wurden. Derjenige, der sich im Verfahren
verteidigt, darf sich nicht darauf beschränken zu schweigen
oder lediglich allgemein auf die Be-hauptungen der Gegenseite
zu antworten. Nun ist es erforderlich, ausdrücklich und gesondert
zu bestreiten.
Ferner wird die Ausfertigung des Urteils vereinfacht; es muss
kurz und bündig sein und darf sich darauf beschränken, auf
vorangegangene Besprechungen zu verweisen.
Ziel: Vereinfachung des Verfahrensablaufes und des Abfassens
des Urteils.
4. Rationalisierung und Beschleunigung der Verfahrensdauer
(Artikel 50, 296, 297, 305, 307, 327, 353, 392)
Anstelle der bisherigen Fristen von 6 Monaten bis zu einem
Jahr wurde eine neue einheitliche Frist von 3 Monaten (bzw.
6 Monate nur bei Artikel 327!) eingerichtet, innerhalb derer
die Parteien mit der Wiedereinstellung des Prozesses fortfahren
müssen, wenn der Prozess infolge einer Unterbrechung, Streichung
aus dem Register, Aufhebung des Urteils mit anschließender
Rückverweisung etc. stillgestanden hat.
Ziel: Verkürzen und vereinheitlichen der Verfahrensdauer.
5. Einführung der "schriftlichen Zeugenaussage" (Artikel
257 bis)
Soweit zwischen den Parteien Einigkeit darüber besteht, darf
der Richter die schriftliche Verfassung einer Zeugenaussage
verfügen. Dem Zeugen wird hierzu ein Formblatt übergeben;
dieses Blatt enthält die vom Richter zugelassenen Beweismittel
zu denen der jeweilige Zeuge aussagen soll. Das Formblatt
muss von dem Zeugen komplett ausgefüllt und mit der von einer
öffentlichen Amtsstelle beglaubigten Unterschrift an die Gerichtskanzlei
übersendet bzw. direkt abgegeben werden.
Der Richter kann nach wie vor jederzeit eine mündliche Zeugenaussage
verlangen und die Zulassung der schriftlichen Verfassung widerrufen.
Ziel: Verkürzung der Verfahrensdauer; Die Bürger bei einfachen
Zeugenaussagen nicht dazu zwingen persönlich vor Gericht erscheinen
zu müssen; Den Ablauf der Verhandlungen besser regeln.
67. Indirekte Zwangsmaßnahmen (Artikel 614-bis)
Soweit eine Person zur Erfüllung nicht vertretbarer Pflichten
verurteilt wird, hat der Richter die Möglichkeit bei Verspätung
der Erfüllung und für folgende Verletzungen eine Geldstrafe
festzu-setzen (vor allem im Bereich Sorgerecht von Trennungs-
und Scheidungsrichtern). Im Falle der Nichterfüllung stellt
das Urteil auch für diese Beträge einen vollstreckbaren Titel
dar und der Gläubiger muss nicht extra ein neues Verfahren
einleiten.
Ziel: Damit soll die freiwillige Erfüllung von Pflichten vorangetrieben
werden, die nicht leicht er-zwingbar sind.
7. Prozesskalender (Artikel 81-bis)
Damit wird der Richter gezwungen, bei Ermittlung aller zu
erlangender Beweise bereits alle kommenden Termine festzulegen
und in verständlicher Weise sämtliche bevorstehenden Sitzungen
bis zum Abschluss des Verfahrens anzuzeigen. Von dem dadurch
bestimmten Kalender kann nur aus schwerwiegenden und objektiven
Gründen abgewichen werden.
Ziel: Die Dauer des Prozesses soll transparenter werden, indem
eine sogenannte verbindliche "RoadMap" für alle Beteiligten
aufgestellt wird.
9. Das Erkenntnis-Schnellverfahren (Artikel 702-bis - 702-quater)
In sehr einfach gelagerten Fällen ist es künftig möglich,
anstelle des bisherigen ordentlichen Verfahrens ein Erkenntnis-Schnellverfahren
durchzuführen. In einem solchen Schnellverfahren kann der
Richter nach Anhörung der Parteien und Erlangung der unentbehrlichen
Beweise im Laufe weniger Sitzungen ohne etwaige Förmlichkeiten
rasch eine Entscheidung treffen.
Ziel: Damit soll ein vereinfachtes Prozessmodell eingerichtet
werden und es soll ein Weg aufge-baut werden, durch den eher
mühelos zu lösende Entscheidungen nicht wegen der komplexeren
Fälle verlangsamt werden.
10. Der "Filter" der Kassation (Artikel 360-bis)
Heutzutage beschäftigt sich der Kassationshof mit vielen Berufungen,
die nur einen geringen Streitwert beinhalten bzw. nur eine
niedrige Wichtigkeit aufweisen. Bei diesen Fällen liegt zumeist
schon eine gefestigte Richtungsangabe vor. Damit soll garantiert
werden, dass das Kassations-gericht in Zukunft seine ausschließliche
Stellung als Oberstes Gericht nicht verliert. Als zulässig
erklärt werden nur noch Fälle, die Fragen neuer Gesetzesregelungen
betreffen, hinsichtlich derer Auslegungsschwierigkeiten bestehen
oder wenn das Gericht es für erforderlich hält, die eigene
Rechtsprechung zu verändern bzw. wenn die Grundlagen des fairen
Prozesses verletzt worden sind.
Ziel: Mit dieser Neuerung soll die Arbeitsbelastung des Kassationsgerichtes
reduziert werden und es soll dem Gericht wieder ermöglicht
werden, sich den Fällen mit höherer Bedeutung zu widmen.
11. Gesetzesauftrag zur Mediation und Schlichtung
Die Regierung wurde beauftragt, in Zivil- und Handelssachen
umfangreichere Regelungen im Hinblick auf Mediation zu schaffen.
Die Mediation wird künftig von anerkannten Berufsorganisa-tionen
durchgeführt; auch mittels elektronischer Prozesse. Das Mediationsverfahren
darf nicht länger als 4 Monate andauern. Die unbegründete
Verweigerung einer beantragten Mediation wirkt sich anschließend
auf die Gerichtskosten aus, wenn sich der Antrag mit dem Ausgang
des Urteils deckt.
Ziel: Reduzierung des Arbeitsaufwandes der Landgerichte.
12. Rationalisierung der Gerichtskosten (Artikel 90 ff.)
Die Kosten der Strafprozesse werden heutzutage vom Staat vorgestreckt
und anschließend gegenüber dem Verurteilten wieder eingetrieben;
hierzu wird ein sehr verworrenes, und langsames Verfahren
angewandt (es werden weniger als 10 % der Vorauszahlungen
der Gerichte eingetrieben). Die Reform ermöglicht eine pauschale,
prompte und rasche Eintreibung der Gerichtskosten, bei dem
die Quantifizierung der Kosten und die Eintragung in das Register
von einer privaten vertragsgebundenen Gesellschaft durchgeführt
wird (Equitalia Giustizia).
Ziel: Es soll ein höherer Prozentsatz an Kosten eingetrieben
werden als bisher; die Kanzleien sollen bei wenig ertragreichen
Arbeiten unterstützt werden; Ausweitung der Personalentwicklung
bei Verfahrenssachen.
13. Gesetzesauftrag zur Vereinfachung der Verfahren
Der Gesetzesauftrag an die Regierung hat es zum Ziel, die
derzeit über 30 bestehenden Zivilprozessmöglichkeiten in streitigen
Erkenntnisverfahren auf drei vom Gesetz geregelte Referenzmodelle
zu reduzieren. Das Gesetz soll der Zivilprozessordnung wieder
eine zentrale Stellung beiordnen und soll die Tätigkeiten
der Rechtskundigen erleichtern. Vor allem den zahlreichen
Aus-legungsunsicherheiten soll ein Ende gesetzt werden.
Im Hinblick darauf hat das Parlament bereits erste Erfolge
erzielen können, indem die Gesell-schaftsstreitigkeiten sowie
Streitigkeiten über Schadensersatz aus Verkehrsunfällen wieder
den ordentlichen Gerichten zugeordnet wurde; das Gesetz für
Gesellschaftsverfahren (c.d. rito societario) wurde hierzu
bereits angeschafft.
Ziel: Zivilverfahren sollen vereinfacht werden; die Anzahl
von Fällen soll vermindert werden; Beseitigung von Auslegungsschwierigkeiten;
der Zivilprozessordnung eine zentrale Bedeutung beimessen.
(c) 2009 Mario Prudentino
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